30. Mai 2018 Irkutsk mal ohne Regen
Als erstes wollen wir nach dem ausgiebigen Frühstück Frau Sofia begrüßen, die Chefin des Rezepionspersonals im Hotel, unseren hilfreichen Engel von 2016 bei der Suche nach einer Kupplungsscheibe. Sie erkennt uns und freut sich ehrlich über das Wiedersehen.
Nach vielen lieben Worten besorgt Sie uns ein Taxi, mit dem wir zum Kirov Platz fahren, benannt nach Sergej Kirov, der Anfang der 30iger Jahre in der sowjetischen Politik eine Alternative zu Stalin war. Er wurde 1934 als einer der ersten ermordet. Das war der Beginn der Schauprozesse und massenhaften Repressalien. Beherrscht wird der Platz vom „Grauen Haus“, der Gebietsadministration. Ein kleiner Lichtblick davor, eine im Vergleich dazu winzige weiße Kapelle. Zwischen den Fluchten der grauen Häuserblocks ragt die aus rotem Backstein in neugotischem Stil erbaute katholische Kirche Irkutsks heraus. Sie wurde 1886 aus Spenden von über 20.000 nach Irkutsk verbannten Polen errichtet.
Unweit davon entfernt die Gotteserscheinungkathedrale und die Erlöserkirche. Alle drei Kirchen in der Nähe der Angara gebaut, sind eingebettet in den Park des Ewigen Feuers zu Ehren der Sibirischen Kämpfer im Zweiten Weltkrieg. Unweit davon das Denkmal des „Unbekannten Kosaken“ als Erinnerung an die Stadtgründung 1661 und den Sieg über die Burjaten. Irkutsk entstand aus einem Kosakenfort (Ostrog), das 1661 von dem Kosakenführer Pochabow am Ufer des Flusses Angara angelegt wurde. 1686 bekam Irkutsk das Stadtrecht. Erst gegen 1760 wurde der Sibirische Trakt, die erste Straßenverbindung zwischen Moskau und Irkutsk fertiggestellt, und die Stadt entwickelte sich zum Dreh- und Angelpunkt für den Handel mit den Schätzen Sibiriens und den Importen aus dem Kaiserreich China: Pelze, Diamanten, Gold, Seide, Tee, Holz. Mit dem Handelsaufschwung entwickelte sich die Stadt auch zu einem bemerkenswerten Zentrum für Wissenschaft und Kultur – nicht zuletzt dank der großen Zahl von politischen Verbannten. Die Stadt war Ausgangspunkt der ersten beiden Expeditionen von Vitus Bering 1728.
Im Jahr 1879 zerstörte ein Brand drei Viertel von Irkutsk, 4000 Häuser. Danach entstanden dort erste Ziegel- und Steinbauten, ein Bahnhof (16. August 1898 erster Zug); auch der Anschluss an die Elektrizitätsversorgung und das Telefonnetz folgte. Die Straßen waren zu der Zeit noch ungepflastert und das Abwasser floss in offenen Gräben dahin. Trotzdem war die Stadt um 1900 das „Paris Sibiriens“. Ihre Bedeutung als politisches und wirtschaftliches Zentrum Sibiriens verlor die Stadt im Verlauf des 20. Jahrhunderts an Nowosibirsk. Jedoch ist Irkutsk bis heute mit seiner Anzahl verschiedener Theater und angesehener Museen eines der wichtigsten kulturellen Zentren Sibiriens. Irkutsk zählt zu den relativ wenigen Städten Sibiriens, in denen die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts erbauten Kaufmannsbauten, aber auch Beispiele reizvoller sibirischer Holzarchitektur im Stadtzentrum flächendeckend erhalten sind. Im Gegenzug zu Städten wie Nowosibirsk oder Ulan-Ude hat Irkutsk insbesondere im Zentrum den Charakter einer natürlich gewachsenen Stadt mit teils verwinkelten Straßen und Gassen.
Irkutsk bildet einen sibirischen Verkehrsknotenpunkt. Im Sommer 1898 erreichte die Transsibirische Eisenbahn die Stadt. Die Stadt liegt an der transkontinentalen Straßenverbindung von Moskau nach Wladiwostok. Hier endet die russische Fernstraße R255, die die Stadt mit Nowosibirsk verbindet, und beginnt die R258, die über Ulan-Ude nach Tschita führt. Unsere nächsten Ziele. Irkutsk liegt etwa 70 km entfernt vom südwestlichen Ende des Baikalsees. Östlich der Stadt erstrecken sich südwestliche Ausläufer des Baikalgebirges und südwestlich erheben sich Ausläufer des Ostsajan. Am Südostrand der Stadt wird die Angara zum Irkutsker Stausee aufgestaut, unterhalb seines Staudamms – aber noch im Irkutsker Stadtgebiet – mündet der von Südwesten kommende Irkut ein.
In der Maratastrasse bilden die blühenden Bäume einen reizenden Kontrast zu den alten Holzhäusern. Darin haben sich reizende Cafés eingenistet und Dietmars Ziel seiner Träume, die Pizzeria „Papa Johns“. Er erinnert sich immer daran, wo er eine gute Pizza 🍕 gegessen hat. Das Angenehme an der Russischen Sprache und Schrift ist für mich, dass es für jeden Laut einen passenden Buchstaben gibt und alles so geschrieben wie gesprochen wird. Die Pizzeria „Papa Johns“ ist „Рара Джонс». Das Schönste am heutigen Tag war die Begegnung mit zwei Frauen, Olga und Estenia, die uns in einer der Kirchen Ansprachen und uns erzählten, dass ihre Großväter Deutsche gewesen seien und die Großmütter Russinnen. Sie zeigten uns Fotos ihrer Familien und wir spürten wieder diese wunderbare Herzlichkeit. Am Ende umarmten sie uns wie alte Freunde.
Das sind so diese kleinen Glücksmomente in diesem riesigen Land. Und dann ist es mir noch gelungen einen 10-Rubel-Schein einzutauschen, dieses Auslaufmodell mit den Wahrzeichen von Krasnoyarskiy, dem ja ein Denkmal gewidmet werden soll. Am Abend genießen wir wieder den herrlichen Blick über die Angara.
Liebe Angelika, lieber Dietmar,
bei hochsommerlichen Temperaturen bin ich heute, den Abend genießend, in euren Reisebericht eingestiegen. Es ist wieder schön, dabei sein zu dürfen und so mit euch die Welt zu erleben. Es ist schon verrückt, dass man von so vielen Namen im Russisch- und Geografieunterricht schon gehört hat und nicht gedacht hat, je wieder davon zu hören. Dank euch war es nicht umsonst! 🙂
In diesem Sinne freue ich mich, mehr von euch zu hören und grüße euch ganz lieb!
Ja, wir fahren auch auf den Spuren unseres Geographieunterrichts durch dieses riesige Land. Und nun bekommt alles seinen richtigen Platz.
Gerade tauchen wir aus einer Gewitterfront auf und endlich scheint die Sonne. Noch 800 km und wir sehen endlich dem Amur.
Liebe Grüße Angelika und Dietmar